Die Stimme – Spiegel der Seele

Als ich ein Kind war, hat man mir beigebracht, ich solle den Mund halten, wenn die Erwachsenen reden. Ich solle überhaupt nicht so laut sein, damit ich niemanden störe. Da kleine Kinder die Anweisungen der Erwachsenen ja immer wörtlich nehmen, gewöhnte ich mir an, die Zähne nah beieinander zu halten beim Sprechen, was dann aber auch nicht recht war. Ich sollte auch nicht mit der Hand vor dem Mund sprechen, also sozusagen hinter vorgehaltener Hand. Wenn ich aber meine Meinung artikulierte, erfuhr ich, dass die Erwachsenen immer alles besser wissen. Dass meine Meinung nicht zählte.

Hinter all dem steht die uralte paulinische Weisung, dass „das Weib schweige in der Gemeinde“. Dies Gebot wurde nie aufgehoben, auch wenn uns das nicht bewusst sein mag. Und so kommt es, das eine Frau, die sich öffentlich äußert, noch immer kritischer wahrgenommen wird als ein Mann und dass eine Frau es sich dreimal überlegt, ehe sie sich zu Wort meldet, weil sie sich nicht blamieren will, weil sie sich davor fürchtet, abgekanzelt, überhört oder verächtlich gemacht zu werden. Männer, die sich davor fürchten, sich zu blamieren, gibt es nicht viele. (Pardon, jetzt werde ich polemisch.)

Nun gibt es inzwischen viele Frauen, die sich den Mund nicht mehr verbieten lassen. Es sind sehr beeindruckende darunter, deren Wort Gewicht hat und wohltut. Andere wieder sprechen öffentlich, z.B. im Bundestag, in einer Weise, dass ich mich für sie schämen könnte. „Nein, so möchte ich nicht sprechen“, denke ich.

Wir sind in unserer Entwicklung an einem Punkt angekommen, an dem die weibliche Stimme so sehr gebraucht wird. Nicht jede Frau aber spricht als weibliche Stimme; sondern da gibt es auch kindische, freche verzogene Gören, ungebildete, vermännlichte, anmaßende, zerstörerische Stimmen, die das Weibliche verraten. Aber sie sind laut und sie nötigen uns, sie zu hören.

Ich höre in diese Stimmen hinein – das ist meine Profession – und höre die Ängste dahinter, die Leere, das Trauma, das Sich-verlorene-fühlen, die Gier, endlich gehört, anerkannt zu werden, die Sucht nach Macht, die die verfehlte Selbstermächtigung kaschiert.

Und andere halten sich zurück, weil sie früh eben gelernt haben, dass ihre Stimme nicht zählt, dass sie auf irgendeine Weise bestraft werden, wenn sie sich deutlich und laut ausdrücken. Vielleicht sind es gerade diese, die uns fehlen, die dazu beitragen könnten, unsere schon fast zerstörte Gesellschaft zu heilen? Und dann spricht sie doch, in der Bürgerversammlung, in der Schulkonferenz, ins offene Mikrophon auf einer Demonstration, und sie hat so viel zu sagen, aber der Atem stockt ihr, die Stimme klingt dünn und zittrig, sie schämt sich dafür und hält ihren Beitrag so kurz wie möglich – und hat dann den Eindruck, nicht wirklich gesagt zu haben, was ihr wichtig war.

Danke für deinen Mut, du Frau, und für deine Liebe! Dein Wort bedeutet viel. Und wenn deine Stimme noch keine Kraft hat, so kann sie sie doch gewinnen, wenn du dir der Not-wendigkeit deines Beitrages bewusst wirst und mit ein wenig Training und Unterstützung ihre Funktion und Wirkung kennenlernst. Deine Stimme ist der Spiegel deiner Seele, unbestechlich. Überwinde die Scham und die Angst, die dir anerzogen und auferlegt wurde, und Deine Stimme wird klar und leuchtend zu hören sein.