Biophilie

Im Jahr 1964 hat Erich Fromm (1900 – 1980) den Begriff der Biophilie geprägt. Das Wort ist zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern bios = Leben und philia = Liebe, bedeutet also Liebe zum Leben. Fromm schrieb: „Die Biophilie ist die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen; sie ist der Wunsch, das Wachstum zu fördern, ob es sich nun um einen Menschen, eine Pflanze, eine Idee oder eine soziale Gruppe handelt.“ Der biophile Mensch „möchte formen und durch Liebe, Vernunft und Beispiel seinen Einfluss geltend machen – nicht durch Gewalt und dadurch, dass er auf bürokratische Art die Menschen behandelt, als ob es sich um tote Gegenstände handelte.“
Das Gegenteil von Biophilie ist Nekrophilie – den Begriff gibt es schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Noch einmal Fromm: „Gut ist alles, was dem Leben dient; böse ist alles, was dem Tod dient. Gut ist die Ehrfurcht vor dem Leben, alles, was dem Leben, dem Wachstum, der Entfaltung förderlich ist. Böse ist alles, was das Leben erstickt, einengt und alles, was es zerstückelt.“

20 Jahre nach Erich Fromm griff Edward O. Wilson den Begriff Biophilie auf (ohne Fromm zu zitieren – also hat er den Begriff vielleicht auch unabhängig neu geformt), indem er schrieb, Biophilie sei „the innate tendancy to focus on life and lifelike processes“, also die angeborene Tendenz, sich auf das Leben auszurichten oder auf Prozesse, die dem Leben gleichen. Er sprach auch vom web of life, von dem wir nun einmal ein Teil sind, wie alles andere, was lebt.

Hildegard von Bingen sprach von der viriditas, der Grünheit oder Grünkraft; in mythologischer Sprache hören wir vom Grünen Drachen, einem Symbol für die Lebenskraft, die allem Lebendigen innewohnt und die ein Lebendiges zum anderen hinzieht.

Wo in Deiner Umgebung begegnet Dir der Grüne Drache, wo siehst und fühlst Du Biophilie am Werk? Und wo nicht? Wie kommt es, dass Menschen oder Institutionen sich von der Biophilie abwenden bzw. sie nicht mehr wahrnehmen in sich selbst und also auch nicht ausdrücken können, sondern stattdessen zu Zwang, Bürokratie, Kontrolle und psychischer Gewalt greifen – manche sogar zu physischer Gewalt?

Daran ist niemand persönlich schuld, dass es so weit gekommen ist. Meine Vermutung ist, dass es daran liegt, dass mehr oder weniger alle Menschen auf die eine oder andere Art traumatisiert sind – manche mehr, manche weniger, seit früher Kindheit und seit vielen Generationen. Menschen wurden gedemütigt, gequält, getötet, litten Hunger und Verfolgung, Einsamkeit und Not … Sie mussten ihre Bedürfnisse, ihre Lebendigkeit unterdrücken, um sich anzupassen und nicht ausgegrenzt zu werden. Und wer seine eigene Lebendigkeit nicht mehr spüren und ausleben kann, kann sie an anderen nicht ertragen, wird sie bekämpfen. Das ist der Entwicklung der Menschheit in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden eingeschrieben und wird jetzt auf die Spitze getrieben, wenn auch viel subtiler als in früheren Zeiten.

Und die Menschen haben sich aus dem Funktionszusammenhang der Natur herausgelöst bzw. es geschehen lassen, dass die Zivilisationsentwicklung sie aus diesem Zusammenhang herausgelöst hat. Das vermehrt den Stress und alle seine Folgen. (Von den Folgen der Loslösung von den kosmischen und transzendenten Zusammenhängen zu sprechen, würde hier zu weit führen.)

Warum jetzt diese Zuspitzung?

Weil jetzt die Zeit ist, aufzuwachen und es zu erkennen – und dann die Richtung zu ändern. Viel Heilarbeit ist nötig, damit wir uns kollektiv dem Leben zuwenden können und unsere nekrophilen Tendenzen hinter uns lassen. Und das geschieht ja auch schon allenthalben!

Lasst uns mit Mut und Zuversicht unsere Wunden heilen, uns der Liebe öffnen und uns allem hingeben, was das Leben unterstützt und fördert! Lasst uns uns wieder integrieren in den Funktionskreis des Lebens, uns wieder einstimmen auf das Leben! Lasst uns biophile Menschen werden, Liebhaber*innen des Lebens, wie wir es doch eigentlich sind und immer waren!